FDJ-Prozeß ausgesetzt

Am 18. Mai meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, daß das Ermittlungsverfahren gegen einen Feldjäger, der im vergangenen August an einer Kontrollstelle im afghanischen Kundus eine Frau und zwei Kinder erschossen hat, demnächst eingestellt wird. Auch Fahrlässigkeit sei dem Kettenhund nicht vorzuwerfen. In der deutschen Presse hatte die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen keine, die „quälende Unsicherheit für unsere Soldaten“ dafür eine umso größere Rolle gespielt. Derzeit werden Pläne diskutiert, durch die Schaffung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft am Sitz des Generalstabes in Potsdam diese Straflosigkeit künftig zuverlässiger zu gewährleisten.

Mit solcher Milde der Justiz und soviel Verständnis der Öffentlichkeit können Menschen nicht rechnen, die sich gegen den deutschen Imperialismus und Militarismus, gegen die Ursache solcher als „bedauerliche Zwischenfälle“ bezeichneter Morde stellen. Die beiden Berliner FdJler, die derzeit wegen einer Flugblattverteilung(!) in Jena vor Gericht stehen, bekommen das zu spüren.

Am ersten Verhandlungstag sagte die „beleidigte“ Sanitäterin vor Gericht widersprüchlicher als von der Staatsanwaltschaft erhofft aus. Die OTZ hat genau diese Punkte in ihrem Bericht (siehe hier) unterschlagen. Im Laufe der hartnäckigen Befragung durch die Verteidigung – Gericht und Staatsanwaltschaft hatten Nachfragen nicht für nötig gehalten – „outete“ sich die „diskussionsfreudige“ ex-Soldatin erst richtig: Als sie die ersten zwei Sätze in dem fraglichen Flugblatt gelesen habe, habe sie dieses zerknüllt und aus zwei Meter Entfernung den Aktivisten vor die Füße geworfen. Und am Ende der Diskussion nach diesem(!) Intro sei sie schließlich regelrecht bedroht worden. Die Frage, warum davon nichts im polizeilichen Vernehmungsprotokoll steht, konnte sie nicht plausibel beantworten.

Um diese Ungereimtheiten aufzuklären, hörte das Gericht im zweiten Termin am 11. Mai einen Polizist, der vor Ort im Einsatz war, und den Vernehmungsbeamten. Der erste konnte sich nicht mehr an wesentliche Details erinnern. Dafür sagte der Vernehmer zur Überraschung aller aus, die „Geschädigte“ sei vor dem Eintreffen der Polizei noch im Komma 10-Laden shoppen gewesen! Von einer „Bedrohung“ durch die Flugblattverteiler habe sie nichts erzählt.

Ab einem gewissen Punkt läßt sich das zugunsten von (Wannabe-) Berufszeugen gern angeführte Standardargument „Die Widersprüchlichkeiten in der Schilderung des Randgeschehens bestätigen gerade die Glaubwürdigkeit hinsichtlich des Kerngeschehens“ nicht mehr problemlos aufsagen. Nach der heutigen Beweisaufnahme wurde das Verfahren ausgesetzt; in einigen Monaten geht es weiter.

Dann soll die „geschädigte“ Kerstin P. erneut aussagen. Es wird sich zeigen, wie gut die „psychologische Kriegsführung“ der Bundeswehr sie zu „impfen“ versteht. Bis dahin sollen auch die weiteren Polizisten ermittelt werden, die vor Ort im Einsatz waren. Nachdem Frau P. in ihrer ersten Aussage ausgiebig von ihrer intimen Beziehung zu ihrem „ehemaligen Dienstvorgesetzten“, der Bundeswehr, geschwärmt hatte, sollen drittens noch deren Akten beigezogen werden. Und last, but not least muß das Gericht über den Beweisantrag der Verteidigung, das FdJ-Flugblatt zu verlesen, entscheiden. Dieses Flugblatt erläutere – so Rechtsanwalt Schultz – die antimilitaristische Position der FdJ und zeige, daß die persönliche Beleidigung beliebiger dahergelaufener Reservisten nicht deren Mittel der Wahl sei. Der Antrag, das Verfahren gegen einen der beiden Angeklagten abzutrennen, wurde abgelehnt, obwohl selbst der Staatsanwaltschaft bereits im ersten Termin durchblicken ließ, die Beweislage gegen ihn sei ungenügend.

Wie das Verfahren ausgehen wird, ist offen. Nur eins kann als sicher gelten: Ohne die hohe Motivation der Angeklagten und ohne die engagierte Verteidigung wäre das Verfahren schon längst durch eine Einstellung gegen Auflagen – die faktisch eine Ersatzstrafe und politisch ein implizites Eingeständnis ist – abgeschlossen. Der angestrebte „kurze Prozeß“ (im doppelten Wortsinn) ist gescheitert.

Wir werden rechtzeitig über die Fortsetzung der Verhandlung informieren.

Soldaten sind Mörder!