1. Prozesstag im Verfahren gegen Betroffene von Polizeigewalt in Erfurt
Ein erster Blick auf die Sitzungspolizeiliche Verordnung ließ bereits erahnen, in welchem Rahmen das Verfahren gegen Yve/tte vorm Amtsgericht Erfurt stattfinden sollte: Ausweispflicht, Einlasskontrollen, Konfiszierung von Handys und anderen technischen Geräten. Je nach Laune der kontrollierenden Justizbeamt_innen wurden auch Kleingeld, Schlüssel o.ä. einbehalten. Die Angeklagte wurde gegen ihren Willen von männlichen Beamten durchsucht, wobei sich auf die staatliche Geschlechtszuschreibung („Wenn in ihrem Ausweis steht, Sie sind männlicher Natur”…) berufen wurde, und musste zu allem Überfluss vor Betreten des Sitzungssaals auch ihre Stiefel einer Durchsuchung preisgeben.
„Und wenn hier kein Gehorsam herrscht, dann kann ich auch Ordnungsgelder verhängen – das sag ich Ihnen gleich!”
Mit diesen Worten marschierte die Richterin in den Saal, um sich gleich darüber zu echauffieren, dass die ca. 30 Prozessbeobachter_innen nicht umgehend salutierten, sondern überwiegend in ihren Stühlen verblieben. Der Verteidiger forderte eine schriftliche Begründung für die Schikane am Einlass, woraufhin die Richterin verkündete, dass diesen ein Hinweis durch die Polizei vorausging, „dass es durch das zu erwartende Spektrum zu aktiven Störungen kommen könnte”. Von vier geladenen Polizeizeug_innen schaffte es nur einer zur Verhandlung. Die anderen waren krank oder „im Skiurlaub”. „Da könnwa nix machen”, wie die Richterin lapidar kommentierte. Ob, wie es bei nicht-Uniformierten durchaus vorkommt, die Geladenen für ihre nicht krankheitsbedingte Abwesenheit dreistellige Ordnungsgelder bekommen oder von ihren Kolleg_innen vor der nächsten Verhandlung zuhause abgeholt werden, ist zu bezweifeln.
Im Verfahren drehte es sich um die Frage, ob Yve/tte bei Vorkontrollen zur Kundgebung gegen Sarrazin am 9.5.2012 Widerstand gegen mehrere Polizeibeamte geleistet habe, die ihr ihre Tasche abnehmen wollten. Die Beamten konstruierten später eine Situation, in der Yve/tte eine Bierflasche in der Hand getragen habe, die als Grund für die zu rechtfertigende gewaltsame Durchsuchung ihrer Tasche dienen sollte. Yve/tte wurde dabei, auf einer Mauer sitzend, von mehreren Beamten angegriffen, bekam Arme und Hals verdreht und die über den linken Schulter hängende Tasche entwendet. Dabei wurden ihr Schürfwunden und Striemen an Arm und Hals zugefügt. Nach dem Übergriff bekam die Betroffene einen Platzverweis ausgesprochen, der allerdings nach ihrem verbalen Widersetzen und nach Intervention des Co-Anmelders der Kundgebung aufgehoben wurde. Eine Anzeige gegen die Beamten wegen Körperverletzung im Amt wurde alsbald eingestellt, während Yve/tte einen Strafbefehl wegen Widerstands bekam.
Yve/tte bezeichnete die Bezichtigungen der Polizeibeamt_innen vor Gericht als „Quatsch” und stellte klar, dass Sie angegriffen und verletzt wurde. Sie machte deutlich, dass die Uniformierten weder eine Rechtsgrundlage für die Kontrolle nennen konnten und dass ihre Schutzhaltung gegen den Angriff nicht als Widerstand gewertet werden dürfe.
Aus Nichts wird eine Flasche und aus 1 Monat wird 1 Tag
Der Polizeizeuge PM Buttler von der Bereitschaftspolizei tat sich schwer, die besagte Situation glaubwürdig wiederzugeben. Er begründete seinen Übergriff auf Yve/tte damit, dass sie eine Bierflasche in der Hand gehabt habe. Auf Nachfrage des Verteidigers, wie sicher er sich bei der Flasche sei, hieß es kleinlaut: „Zum jetzigen Zeitpunkt weiß ich das nicht mehr”. Auch das Zustandekommen der Feststellungsberichte, die von drei beteiligten Beamten in teils identischem Wortlaut abgefasst wurden, konnte PM Buttler nicht begründen. Auf seine Aussage hin, dass er den Bericht am Folgetag des Übergriffs verfasst habe, hielt ihm der Verteidiger die Akte vor, derzufolge der Bericht einen Monat nach dem Vorfall abgefasst wurde. PM Buttler gestand daraufhin ein, dass er den Bericht erst verfasst habe, nachdem die Kriminalpolizei ihn über die vorliegende Anzeige wegen Körperverletzung informiert hatte.
Hier nach bezeugten drei Menschen, die Yve/tte an jenem Tag begleitet hatten, dass diese keine Bierflasche dabei gehabt habe. Zudem konnten zwei von ihnen aus eigener Beobachtung bezeugen, dass die Angeklagte Widerstand nur derart geleistet hat, dass sie sich im Moment des Angriffs in eine Schutzhaltung begeben und um Hilfe gerufen habe. Ebenso erinnerten sich beide, dass der Kontrolle keine Erläuterung des Anlasses vorangegangen war und dass der Angriff auf Yve/tte nach einmaliger Ankündigung von Gewaltanwendung erfolgte. Die Verteidigung stellte mehrfach heraus, wie widersprüchlich sich verschiedene Beamte an jenem Tag zur rechtlichen Grundlage der Kontrollen geäußert hatten. Während PM Buttler auch vor Gericht noch beteuerte, „selektiv”, also anlassbezogen kontrolliert zu haben, hatte sein Vorgesetzter, PK Schneider bereits am Tag des Übergriffs ausgesagt, dass es sich um allgemeine Kontrollen handle.
Um diese Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Kontrollen zu klären, beantragte die Verteidigung, als weiteren Zeugen einen der Anmelder der Kundgebung zu laden.
Der Prozess wird am 6. März ab 8.30 Uhr in Saal 18 des Amtsgerichts Erurt fortgesetzt.