Dieser Bericht eines Demoteilnehmers der diesjährigen Blockupy-Demo in Frankfurt erreichte uns per Mail:
Keine Demokratie: Bericht aus Frankfurt
Das hätten wir so nicht erwartet. Selbst jetzt beim Schreiben spüre ich noch das leichte Brennen des Pfeffersprays auf meiner Hand. Dabei hatte ich noch Glück. Zahlreiche DemonstratInnen mussten mit tränenblinden Augen, nach Luft lechzend oder von Polizeiknüppeln verletzt zu den Demosanitätern geführt werden.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Am Platz der Auftaktkundgebung war praktisch keine Polizei präsent. Dementsprechend entspannt und ausgelassen war die Atmosphäre. Fünf oder sechs Lautsprecherwagen wurden aufgestellt. Redner aus allen beteiligten Bündnisorganisationen begründeten den Demonstrationsanlass. Wir waren aus Jena nach Frankfurt gekommen, um gegen die menschenfeindlichen Diktate der Troika zu protestieren. In the belly of the beast nannte eine griechische Rednerin die Stadt Frankfurt, den Sitz der deutschen Großbanken und der EZB. Hier wird die Sparpolitik der Regierungen entworfen. Konzepte wie Lohnabbau, Rentenklau und Sozialkürzungen und die Verteilung von Milliarden an das Kapital entstehen in Frankfurt. Millionen Menschen in Europa leiden unter der Wirtschaftskrise und kapitalistischer Ausbeutung oder massiver Arbeitslosigkeit. Mit uns standen Demonstranten aus Portugal, Spanien, Griechenland und der Türkei. Gemeinsam wollten wir unseren Protest durch Frankfurt zur EZB und zur Deutschen Bank tragen. Den Verbotsversuchen der schwarz-grünen Frankfurter Koalition zum Trotz wurde unsere Demonstration höchstrichterlich genehmigt. Scheinbar galt das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit im Gerichtssaal noch.
Nach der sehr langen Auftaktkundgebung formierte sich dann der Demozug, um zur EZB aufzubrechen. Hinter dem Lautsprecherwagen der Gewerkschaften formierte sich unser Block aus SDAJ und DKP. Unter der Losung „Peoples of Europe Rise Up“ reihten wir uns zwischen ver.di Jugend und IG Metall ein. Wir verteilten gemeinsam Flugblätter zur Krise und den Verbrechen der Deutschen Bank, die meist mit Interessen angenommen wurden.
Wir waren guter Stimmung. „Siemens, Daimler, Deutsche Bank der Hauptfeind steht im eignen Land“, “Hoch die Internationale Solidarität“, oder “Wir sind hier, wir sind laut weil ihr unsere Zukunft klaut“ schallte es aus unserem Block.
Doch schon nach wenigen hundert Metern stockte der Demozug. Die Polizei hätte die Demo unterbrochen, so die ersten spärlichen Informationen, die über die Lautsprecher weitergegeben wurden.
Doch dann wurde bald klar, dass es keine einfache Unterbrechung war. Tatsächlich hatte die Polizei den ersten Lautsprecherwagen und über tausend Menschen eingekesselt. Auf Anfrage der Demoleitung entschieden wir uns gemeinsam mit IG Metall und den Gegnern des Flughafenausbaus in Frankfurt mit nach vorne zu gehen und die Weiterführung der genehmigten Demonstration zu fordern. Daraufhin teilten martialisch ausgerüstete Polizeikräfte die Demo. Ohne Provokation seitens der Demonstranten gingen die Einsatzkräfte gegen unseren Teil der Ketten vor. Rabiat entrissen sie den ersten Reihen die Transparente. Wer versuchte die Transparente zu halten wurde geschlagen. Durch die Eskalation der Polizei wurde die Stimmung aggressiver. “Haut ab, Haut ab“ – Rufe wurden skandiert. Die Polizei eskalierte weiter. Mit brachialer Gewalt verbreiterte sie den Korridor zwischen uns und den Eingekesselten. Ohne Ankündigung wurden Schlagstöcke eingesetzt und die ersten Reihen, die nicht zurückwichen, wurden mit massivem Einsatz von Pfefferspray zurückgetrieben.
Jetzt bewies sich die Solidarität der Demonstranten. Alle beteiligten Organisationen entschieden sich für die Unterstützung der Leute im Kessel. Aus allen Lautsprechern wurde die Polizei aufgefordert, die genehmigte Demonstration zu verlassen. Doch seitens der Einsatzleitung gab es keinerlei Verhandlungsbereitschaft. An den Haaren herbeigezogene Begründungen wie die Vermummung einzelner Demonstranten dienten als Vorwand, um die Demonstration komplett zu verhindern. Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wurde durch die Einsatzleitung und den politisch Verantwortlichen aus dem Innenministerium bewusst außer Kraft gesetzt. Die Großdemonstration zur EZB wurde im Interesse des Kapitals aufgehalten.
Die Kraft der Solidarität war groß. Sprechchöre wurden zwischen Kessel und unserem Teil der Demonstration hin und her gerufen. Wasserflaschen flogen über die Polizeiketten, da diese den Kessel von der Versorgung mit Wasser über Stunden abgeschnitten hatte. Enthusiastischer Beifall brandete auf, als uns die Kollegen und Kolleginnen des Schauspiels Frankfurt zu Hilfe eilten. Sie wollten dem Polizeiunrecht nicht tatenlos zusehen. An langen Seilen ließen sie Wasser und Lebensmittel zu den im Kessel Eingesperrten hinab.
Doch die Demontage der Demokratie sollte noch weiter gehen. Ohnmächtig mussten wir mit ansehen, wie die Polizeiübermacht die Kessel aufspaltete. Alle Gekesselten sollten jetzt auch noch ihre Personalien angeben. Wer sich nicht freiwillig abführen ließ, wurde heraus geprügelt. Gleichzeitig ließ die Polizei am anderen Ende unserer Demo verlauten, es gäbe „keine Zwischenfälle“. Was die Polizei unter keine Zwischenfälle versteht kann man hier nachlesen: http://ea-frankfurt.org/
So beendeten deutsche Polizeikräfte die internationale Blockupy-Demonstration in der Bankenmetropole der EU. Proteste gegen die Verarmungspolitik des Kapitals, durchgesetzt von Troika und den Regierenden wurden brutal verhindert.
Die Solidarität unter den Demonstranten war großartig und macht uns Mut für weiteren Protest. Klar ist uns geworden, dass der Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf uns nur wirksam werden kann, wenn er wesentlich breiter wird. Es muss uns gelingen, mehr Betroffene auf die Straße zu bringen und in den Betrieben zu organisieren. Die laufende Berichterstattung über die massive Polizeirepression gegen Demonstranten in Istanbul machte uns wütend und umso stärker unsere internationale Solidarität mit den Kämpfenden dort. Mut gemacht haben uns dabei die unglaubliche Breite der Demonstrationen in Istanbul. Z.B. versperrten die Busfahrer den Zugang zu den Demonstranten durch ihre Fahrzeuge, so dass Panzer nicht durchkonnten. Davon können wir viel lernen.
Die Demo hätte 16 Uhr friedlich zu Ende gehen sollen. Gegen 23 Uhr war der Kessel geräumt und die Polizei gab die Straße frei. Auf der Abschlusskundgebung wurde verkündet, dass uns an diesem Tag klar wurde, dass unsre Klassengegner einen Kapitalismus ohne Demokratie wünschen. Wir aber wollen eine Demokratie ohne Kapitalismus. Dem können wir nur zustimmen.
Auch in Jena gibt es Menschen, die die Aufkündigung der Demokratie nicht hinnehmen wollen. Ich habe mich sehr gefreut, als ich auf Jenapolis den Aufruf zum Protest gegen die Polizeigewalt in Frankfurt lesen konnte. Hoffentlich kommen viele Menschen am Donnerstag um 17:00 Uhr ans Johannistor. (http://www.jenapolis.de/2013/06/demonstration-in-jena-gegen-polizeigewalt-und-willkuer/)
Timur