Den 1. Mai 2017 haben viele Antifaschist*innen sicherlich noch in Erinnerung: Die am Nationalsozialismus orientierte Partei „Der Dritte Weg“ marschierte uniformiert und mit Trommelrhythmus durch Gera. Trotz vieler Antifaschist*innen konnte der Aufmarsch nicht maßgeblich gestört werden. Die Polizei beschränkte sich an dem Tag auf die Absicherung des Naziaufmarschs und die Schikane verschiedener Gegendemonstrierender im Nachgang der Demo. In der Folge gab es eine Reihe von Anklagen wegen Vermummung gegen Teilnehmer*innen der Gegendemo. Als die Staatsanwaltschaft in einem Fall keinerlei Beweis für die Zuordnung des Angeklagten zu einer vermummt gefilmten Person aus der Gegendemo hatte, griff sie ganz tief in die Kiste der Repressionsmaßnahmen: Ein anthropologisches Gutachten sollte her!Schon der Strafbefehl, den Staatsanwalt (StA) Zschächner beantragt hatte, wurde aufgrund der mangelnden Beweise vom zuständigen Richter nicht erlassen. Stattdessen wurde eine Hauptverhandlung angesetzt. Am ersten Verhandlungstag war nur ein Polizeizeuge der sächsischen Bereitschaftspolizei geladen, der als Videobearbeiter keine Aussage darüber treffen konnte, ob der Angeklagte auch die vermummt gefilmte Person ist. Der Angeklagte verweigerte dazu jegliche Aussage. Auch der Richter hielt nach eigener Anschauung den Angeklagten nicht für die vermummt gefilmte Person. Er wollte bereits zu diesem Zeitpunkt das Verfahren einfach einstellen und fragte den Vertreter der Staatsanwaltschaft nach Einwänden. Nun saß dort nicht der Bearbeiter der Akte, StA Zschächner, sondern einer seiner Kollegen. Der erbat eine Verhandlungspause, um sich mit Zschächner abzusprechen. Aus der Pause brachte er dann eine innovative Anregung des Kollegen Zschächner mit: Ein anthropologisches Gutachten sollte die Übereinstimmung des Angeklagten mit der Person aus dem Video klären. Der Richter erboste sich schon hier über die Sturheit des StA und mahnte ein Bewusstsein für die Verwendung von Steuergeldern angesichts einer einfachen Vermummungshandlung an. Die Verteidigung argumentierte an dieser Stelle, dass der Straftatbestand der Vermummung nicht einmal eröffnet wäre und der Angeklagte alleine deswegen freizusprechen sei.
Das Verfahren wurde nun für ein Dreivierteljahr ausgesetzt und der Angeklagte zur Vorbereitung des Gutachtens zu einem Fototermin in die Kriminalpolizei Jena zitiert. Als am 25.10.2018 die Verhandlung vorm Amtsgericht Gera fortgesetzt wurde, stellte sich zunächst heraus, dass die Jenaer Staatsschützerin Olejak untaugliche Bilder angefertigt hatte. Sie hatte trotz ihrer Funktion als ermittlungsführende Beamtin nicht einmal berücksichtigt, die Fotos aus einer ähnlichen Perspektive anzufertigen wie die Filmaufnahmen der vermummten Person im Polizevideo. Es bleibt zu spekulieren, ob Olejak die Gelegenheit lieber für eine allgemeine erkennungsdienstliche Behandlung und langfristige Speicherung der Daten des Beschuldigten nutzte, anstatt dem Gericht zuzuarbeiten. So musste zu Beginn der Verhandlung die Jenaer Anthropologin eigene Fotos im Hinterzimmer des Verhandlungssaals anfertigen und auf dieser Grundlage vor Ort ihr vergleichendes Gutachten erstellen. Vor ihrer Vernehmung war erst noch der sächsische Bereitschaftspolizist dran, der die Einschätzung der Verteidigung zur fehlenden Strafbarkeit der Vermummung bestätigte: Die gefilmte Person habe sich nur vorübergehend vermummt, als sie in Sichtweite und erhöht dem Naziaufmarsch gegenüberstand. Sie hatte sich noch vor Ort entmummt, keinerlei andere Straftaten begangen und wäre dann erst gegangen. Da eine Vermummung eigentlich nur zur Ermöglichung einer anderen Straftat strafbar ist und es außerdem viele Urteile gibt, die eine Vermummung zum Schutz vor Nazifotografen nicht für strafbar halten, hätte schon hier ein Freispruch erfolgen können. Für diesen benötigte es nach Ansicht des weniger entscheidungsfreudigen Richters allerdings noch das Ergebnis des anthropologischen Gutachtens. Und dieses fiel unmissverständlich aus:
„Der Angeklagte ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der Täter.“
Neben vielen anderen eindeutig unterschiedlichen Körpermerkmalen verwies die Gutachterin auf das Ohrläppchen des Angeklagten, das als unveränderliches Merkmal offensichtlich nicht mit dem der gefilmten Person übereinstimmte. Hier stimmte auch StA Petzel zu, der anders als am ersten Verhandlungstag die Sitzungsvertretung innehatte. Ob Petzel, der schon bei Anschauung des Angeklagten, nun den ihm untergeordneten StA Zschächner in seinem Verfolungseifer zurückpfeift? Es bleibt kaum zu hoffen.
Die Gutachterin erklärte auf Nachfrage der Verteidigerin, dass sie in ihrer achtjährigen Laufbahn schon viele Gerichtsgutachten erstellt hat., in einer Vermummungssache allerdings noch nie. Ihr Gutachten wird die Staatskasse runde 1500 Euro kosten, wie sie ebenfalls auf Nachfrage bestätigte.
Der Richter sprach den Angeklagten mit den Worten frei:
„Sie wurden in persona zu Unrecht angeklagt.“
Aus Sicht der Roten Hilfe ist es sehr erfreulich, wie konsequent der Angeklagte die Aussage verweigert hat, obwohl die mutwillige Verwechslung hinter der Anklage so offensichtlich war und er sich zwei Verhandlungstagen und einer ED-Behandlung beim Staatsschutz auszusetzen hatte. Die verweigerte Kooperation führte die Repressionsapparate an die Grenze ihrer Mittel und letztlich dazu, dass sie sich sogar in den Augen des Richters lächerlich machte.